Euer hochbegabtes Kind an der Regelschule – Möglichkeiten der Förderung

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In einem meiner letzten Beiträge habe ich mich mit der Frage nach der richtigen Schule für euer hochbegabtes Kind beschäftigt. Dabei kam es mir insbesondere darauf an, hervorzuheben, dass das Wichtigste ist, dass ihr bei der Schule eurer Wahl das Gefühl habt, euer Kind wird so angenommen, wie es ist, sprich, den Pädagogen dort ist Hochbegabung nicht fremd, sie zeigen keine ablehnende Haltung, wissen um mögliche Probleme bei mangelnder Forderung und sind bereit, dein Kind im Rahmen ihrer Möglichkeiten angemessen zu fördern.

Noch besser ist es natürlich, die aufnehmende Schule hat bereits Erfahrungen mit hochbegabten Kindern, oder verfügt über spezielle Förder-/ bzw. Forderprogramme. Schulen mit besonderen Hochbegabtenklassen oder sogar ganze Hochbegabtenschulen findet ihr, speziell im ländlichen Bereich, aber eher selten.

Gerade in der Grundschule ist es Aufgabe des Lehrers  jedes Kind „dort abzuholen, wo es steht“. Im Unterricht wird differenziert, so dass möglichst alle die Möglichkeit haben sollen, ihrem Leistungsstand entsprechend zu lernen. Leider ist das in der Realität nicht immer so umsetzbar, zumal die Kapazitäten der Schulen in den letzten Jahren stark eingeschränkt wurden und es oft vor allem darum geht, die schwächeren Schüler zu unterstützen, insbesondere nach Schließung der meisten Förderschulen im Zuge von Inklusion. Darunter leiden häufig die stärkeren und ganz starken Lerner.

Eine angemessene Förderung ist aber auch für die Entwicklung hochbegabter Kinder sehr wichtig. Im „normalen“ Unterricht sind hochbegabte Kinder häufig unterfordert und langweilen sich. Aus der andauernden Unterforderung können sich unter Umständen Probleme mit der eigenen Identität, soziale Auffälligkeiten u.v.m.  entwickeln. Wird dein hochbegabtes Kind nicht in ausreichendem Maße gefordert, kompensiert es seine Langeweile und das Gefühl verkehrt, oder fehl am Platz zu sein. Das muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass es durch negatives Verhalten in der Schule auffällt. Vielleicht kommt es mittags auch einfach total unausgeglichen nach Hause, und dort geht der Stress erst richtig los. Eventuell möchte es auch gar nicht mehr in die Schule, klagt oft über Bauch- und Kopfschmerzen.  Oder aber es wird einfach traurig, schlimmstenfalls depressiv.

Ihr kennt euer Kind am Besten und merkt, wenn es zuhause „Futter“ braucht. Außerschulisch könnt ihr ihm die Möglichkeit geben, sich mit spannenden Themen zu befassen, könnt gemeinsam Forscher-AG‘ s suchen, Schach Clubs, Bücher in anderen Sprachen lesen, mikroskopieren, euch mit Astrophysik beschäftigen oder wie auch immer oder was auch immer in euren Zeitfenstern möglich ist. Vielleicht gibt es an einer benachbarten Universität auch spezielle Programme für pfiffige Kinder?

Aber mit außerschulischer Förderung allein ist es nicht getan, denn dein Kind verbringt den ganzen Vormittag (und je nach Schule und eurer Betreuungssituation auch den Nachmittag) in der Schule. Es muss such dort im angemessenen Rahmen herausgefordert werden. Ihm müssen passende Aufgaben gestellt werden, an denen es wachsen und seine Fähigkeiten weiterentwickeln kann. Ein anhaltender Mangel an Förderung birgt das Risiko, dass die chronisch unterforderten Kinder schlichtweg die Lust am Lernen verlieren und sich schulisch zu „Underachievern“ entwickeln, die zwar über ein hohes Potenzial verfügen, dies aber nicht nutzen.

Es gibt unterschiedliche Maßnahmen, ein hochbegabtes Kind innerschulisch zu fördern. Dazu gehören das sogenannte „Enrichment“ (Anreicherung) und die „Akzeleration“ (Beschleunigung).

Beim „Enrichment“ geht es um ein Vertiefen und Anreichern des Unterrichtsstoffes. Hier werden eurem Kind erweiterte Aufgaben und Themenfelder zur Bearbeitung angeboten. Wichtig dabei ist. dass es sich bei diesen nicht nur um eine quantitative Differenzierung handelt, damit meine ich, dass euer Kind in diesem Falle nicht ein „mehr“ an Aufgaben zur Wiederholung bekommt, sondern „andere“ Aufgaben, dass es ein Thema vertiefen und sich weitreichender damit auseinandersetzen kann, statt einfach nur „beschäftigt“ zu werden. Darüber hinaus könnte ihm die Möglichkeit geboten werden, an einem Projekt zu arbeiten, eventuell einen Vortrag zum Thema vorzubereiten, o.ä. Auch können zusätzlich Themen behandelt werden, die nicht im Lehrplan vorgesehen sind, sowie neue Methoden ausprobiert oder andere Denkweisen entwickelt und erprobt werden.

Leider sind die Möglichkeiten im Rahmen des normalen Unterrichtsgeschehens begrenzt und lassen eine in dem Maße tiefgreifende und erschöpfende Auseinandersetzung mit einem Thema, wie sie deinem Kind gerecht würde, kaum zu. Manche Kinder lehnen zusätzliche Aufgaben dieser Art auch einfach ab.

Während das Kind beim „Enrichment“ in seiner Jahrgangsstufe verbleibt, geht es bei der „Akzeleration“ um eine Beschleunigung der Schulzeit, z.B. durch eine vorgezogene Einschulung oder das Überspringen von Klassen. Auch eine Teilakzeleration ist möglich, falls ein Kind in einem einzelnen Fachbereich besonders weit ist und herausragt, ansonsten aber in den anderen Fächern auf dem gleichen Leistungsstand wie die Schüler seiner Klasse ist.

Grundsätzlich ist das Überspringen von Klassen in allen Bundesländern erlaubt. Welche Voraussetzungen dafür erfüllt werden müssen, welche Klassen übersprungen werden dürfen und wer überhaupt den Antrag zum Überspringen stellen muss, ist in den Bundesländern unterschiedlich geregelt ( siehe Erlasse der Bundesländer).

Ob euer Kind eine Klasse überspringen sollte, ist eine ganz individuelle Entscheidung. Wie geht es ihm mit seiner aktuellen Situation? Wie fördert es der Lehrer/ die Lehrerin im Unterricht? Möchte es selbst auch in die höhere Klassenstufe wechseln? Ist es motiviert, fehlenden Unterrichtsstoff aufzuholen? Steht ihr als Eltern hinter der Entscheidung und tun das auch die abgebenden bzw. aufnehmenden Klassenlehrer? Wie steht es um die emotionale Reife deines Kindes (was ich als besonders schwer einzuschätzen finde, insbesondere angesichts der asynchronen Entwicklung hochbegabter Kinder).

Letztlich liegt die Entscheidung, sofern die Leistungen stimmen, bei euch (Gehört euer Kind bereits zu den Underachievern, wird es einfach schwieriger sein, einen Sprung an der Schule durchzusetzen, weil das Problem der Unterforderung möglicherweise nicht in direktem Zusammenhang mit den auftretenden Problemen erkannt wird ). Und es ist keine leichte Entscheidung.

Ihr wollt euer Kind nicht unterfordert sehen, es aber emotional sozial auch nicht überfordern. Vielleicht ist euer Kind auch körperlich auffallend kleiner als die Kinder des Jahrgangs, den es in Zukunft besuchen soll. Kann das ein Grund sein, ein Kind nicht springen zu lassen? Grundsätzlich würde ich denken nein, aber doch kommt es auf den Einzelfall und euer Bauchgefühl an.

Zu diesem Thema möchte ich euch außerdem die Internetseite www.netzwerk-akzeleration.de ans Herz legen, hier findet ihr umfangreiche Informationen.

 

Ich habe großes Interesse an euren Erfahrungen. Gerne könnt ihr mir auch kleine Erfahrungsberichte anbieten, die ich anonym in einem extra Artikel verwerte, oder die ich sammeln und in einer extra Rubrik bereitstellen könnte, so dass ihr die Möglichkeit habt, euer Wissen mit anderen zu teilen und damit den ein oder anderen bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

3 Gedanken zu „Euer hochbegabtes Kind an der Regelschule – Möglichkeiten der Förderung“

  1. Hallo PHG,

    schade, dass dein Name nirgendwo auf Anhieb zu finden ist! Dein Titel „plötzlich hochbegabt“ ist bei uns sehr treffend! Ich habe mein Kind nie so eingestuft, und plötzlich stellt sich heraus, dass sie es ist!

    Nun befinde ich mich in einem Strudel an Informationen und Entscheidungsanforderungen – und weiß überhaupt nicht mehr, was oben und was unten ist. Die Schule hat uns Kurse für Hochbegabte verwehrt (zu schlechte Noten in den Hauptfächern), und so bleibt es nun an mir zu überlegen, wie ich meine Tochter in der Freizeit „fördern“ kann. Dabei darf man nicht vergessen, dass sie ja auch Freundschaften pflegen will und Spielkameraden hat (die gerade immer weniger werden).

    Ob eine Schule zu Enrichment bereit und fähig ist, scheint mir nach meinen bisherigen Erfahrungen reine Glücksache zu sein.

    Und wo setzt ich am besten an bei der Förderung zu Hause? Zusätzlich zum normalen Alltag?

    Liebe Grüße
    Dunja

    Antworten
    • Liebe Dunja! Meinen Namen findest du im Impressum :)).
      Darf ich fragen, wie alt deine Tochter ist? Ich weiß, wie schwer es ist, zusätzlich zum Schulalltag, der für die Kinder zermürbend langweilig sein kann, zu fördern. Unser Sohn hat kürzlich das Weltall für sich entdeckt, da gibt es zum Glück mal wieder jede Menge zu lesen, zu lernen, zu schauen. Und zum 7. Geburtstag wird ein Teleskop gewünscht :).

      Ganz liebe Grüße
      Ilana

      Antworten
  2. Liebe Ilana,

    vielen Dank! Bei solchen Themen ist es glaube ich eine Hemmschwelle, den Namen gut sichtbar überall zu platzieren. Mir fällt als „Userin“ immer auf, wie unbefriedigend es ist, wenn ich beim Kommentieren nach dem Namen lange suchen muss (ich war bei „Über mich“ – danach wollte ich nicht auch noch das Impressum suchen).

    Meine Tochter ist 8. Mittags will sie meistens mit Kindern spielen. Da ist wenig Platz für Förderung. Und in den Interessen ist sie eher sprunghaft. Na ja, wir schauen mal …

    Liebe Grüße
    Dunja

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